Miyar Valley Expedition 2011 - Teil1

Nicht (irgend)eine Expedition – sondern Lebensexpedition

Klettern ist für mich und meine Freundin etwas Schönes, es macht uns glücklich, durchdringt uns. 

Oft haben wir uns nach einem aufregenden Klettertag in den heimischen Gefilden gefragt, wie toll es wohl wäre, gemeinsam auf Entdeckungsreise zu gehen, zu versuchen in einem der großen Gebirge der Welt ein subjektiv „großes“ Abenteuer zu erleben.

Ein fernes Land sollte es sein, „höhere“ Berge, Granit, nicht zu kalt, mehrere Klettersziele vor Ort und eine Anreise die nicht zu lange ist. Nachdem wir unseren Anforderungskatalog zusammengestellt, und mit potentiellen Zielen verglichen hatten, kristallisierte sich rasch das Miyar Valley als „unsere“ Expeditionsdestination heraus.

Es sollte eine Unternehmung ohne Druck, frei von einer definierten Erwartungshaltung und von „wir müssen“ sein. Es sollte eine Lebensexpedition sein, ein Abenteuer, bei welchem wir unser Bestes geben würden, vielleicht auch an unsere Grenzen und wenn notwendig etwas darüber hinaus gehen würden. 

Die Expedition würde aber immer eines bleiben: ein Selbstzweck! Etwas, das WIR beide teilen würden, egal was dabei herauskäme. Das Zulassen von Erlebnissen, an die WIR uns später gerne erinnern würden, und vielleicht einmal unseren Kindern oder Enkelkindern erzählen würden. „Damals, als wir in Indien hoch oben in den Bergen waren,....“


Das Miyar Valley – Lage und kurze alpinistische Geschichte

Das Miyar Valley befindet sich im Bundesstaat Himachal Pradesh, an der Grenze zur Region „Zanskar“. Es beginnt nördlich der Stadt „Udaipur“ und schlängelt sich über 100km dem Kang La Pass (5350m) entgegen, über welchen man nach „Padum“ kommt.

Im unteren Teil des Miyar Valley befinden sich zwei bekannte 6000er, „Phabrang“ 6172m und „Menthosa“ 6443m. Diese Gipfel wurden in den 60er und 70er Jahren von japanischen Expeditionen erstbegangen. Das „obere“ Miyar Valley wurde erst 1991 vom Italiener Paolo Vitali entdeckt. Mit nichts ausgestattet, als einem kleinen Foto einer geografischen Expedition, von einem wunderschönen, großen Felsturm, machte er sich auf die Suche, und entdeckte mehrere Seitentäler mit wunderbaren Klettermöglichkeiten, welche einem Trango Tower um nichts nachstehen .

In den darauffolgenden Jahren waren hauptsächlich weitere italienische Expeditionen aktiv, darunter Massimo Marcheggiani, Mario Manica und Bruno Moretti, von welchen wir dankenswerter Weise viele Infos und Informationsmaterial bekamen.

Ab dem Jahr 2000 zieht es pro Saison in der Regel ein bis zwei Expeditionen ins Miyar Valley, ihnen gelangen eine Reihe markanter Erstbegehungen.  Wir haben sehr von den bereitgestellten Fotos und Infos von Igor Koller und Vlado Linek, bzw. von Andrej Grmovsek profitiert. Seine Erstbegehung „Shangrila Ridge“, am „Korklum Gou“, war eine DER Linien, welche uns sofort ins Auge stach. Die erste Wiederholung dieser wunderschönen Route, war eines unserer großen Ziele.

Das Miyar Valley – ein wunderschöner Ort

Bevor wir das Miyar Valley erreichten, sind wir drei Tage in sintflutartigem Regen in Manali zum Warten verurteilt. Als wir endlich aufbrechen konnten, ereignete sich am Rotang La Pass ein massiver Felssturz, und wir steckten dort nochmals drei Tage fest. Nach persönlicher Inspektion des Erdrutsches und der lebensgefährlichen Aufräumarbeiten durch das Militär war uns klar: Hier gibt es so schnell kein Durchkommen! Also organisierten wir gemeinsam mit „Baghwan“, dem „Checker“ unserer Trekkingagentur einen Trupp Pferde, die unsere gesamte Ausrüstung am Erdrutsch vorbei transportierten, und wir so auf der anderen Seite unsere Reise fortsetzen konnten. Zehn zermürbende, holprige Stunden Autofahrt später, kamen wir in völliger Dunkelheit in Urgos an, welches ca. 25 km tief im Miyar Valley, auf etwa 3500m Seehöhe liegt. Von hier aus begann unser Fußmarsch.

Ich könnte nun viel über unsere Eindrücke vor Ort im Miyar Valley schreiben, möchte aber lieber einfach Igor Koller zitieren, der wunderschöne Worte für diesen wahrlich außergewöhnlichen Ort gefunden hat, denen nur mehr wenig hinzuzufügen ist:

“In den 40 Jahren, die ich damit verbracht habe auf Berge und Felswänden unterwegs zu sein, habe ich viele wunderschöne Gebiete, Ecken und Täler gesehen. Ich habe sogar noch mehr in Magazinen, in Büchern und in Filmen gesehen. Aber nichts desto trotz, würde ich das Miyar Valley als ein „Bergparadies“ bezeichnen. Vielleicht weil es jener Ort ist, an dem ich zuletzt geklettert bin. Wie auch immer. Von verschiedenen Blickwinkeln betrachtet scheint es jedoch kein rein „subjektives“ Gefühl zu sein. Denn dieses Tal weist derart viele natürliche Eigenschaften auf, die den Menschen nahe gehen.Vom kleinsten Detail, bis hin zum komplexen Ganzen, von der leblosen Natur bis zur Flora, Fauna, den Einheimischen, dem Tourismus, dem Trekking und den Klettermöglichkeiten. Ein Tal mit kleinen roten Kieseln auf den Schoterbänken des Flusses, mit aufregenden Bouldern die auf grünen Wiesen liegen, mit 1000 Meter hohen Obelisken aus rot-gelbem Granit, mit enormen Eiswänden und einer großen Anzahl an unbestiegenen 5000 und 6000 Meter hohen Gipfeln. Ein Tal, wo wunderschöne wilde Pferde durch unberührte Natur grasen, und wo man in den entlegenen Ecken für Wochen keine Menschensele antrifft. Ein Tal mit einer mystischen buddhistischen Atmosphäre, welche die menschliche Seele liebkost und beruhigt. Das ist das Miyar Valley. Ein Bergparadies im Indischen Himalaya!“ 

Die Stille der Berge hat sich aus meiner Sicht auf die Menschen dieses Tales übertragen, sie sind ruhig und tragen eine offensichtliche Gelassenheit in sich. Auch die Religion ist stimmig mit Ihrem Lebensrythmus, sie sind Buddhisten.

Ihr Überleben sichern sie durch Landwirtschaft, es werden händisch bis auf 3.800m Kartoffeln und Erbsen angebaut. Folglich wird hier physisch schwer gearbeitet, wovon die Gesichter und Körper der Menschen ein klares Zeugnis ablegen. 

Es wird sehr einfach gelebt, auch wenn das Handy Zeitalter natürlich schon Einzug gehalten hat. Die bittere Armut jedoch, welche man in vielen Teilen Indiens antrifft, gibt es hier nicht. Bis ins kleinste Nest gibt es Schulen für die Kinder, die alten Leute sind im Alltag eingebunden. Die Menschen leben hier mit großer Würde.

Die Dörfer sind eine enge Ansammlung aus schönen Häusern und kleinen Stallungen, wobei überraschend viele der Gebäude neu und recht modern sind. Überall lagern riesige Holzstöße, und auf den Dächern sieht man große Heuschober. Der Winter ist lang hier oben, sehr lang. Von Mitte November bis in den April ist man aufgrund meterhohen Schnees komplett isoliert.

Im Gegensatz zu den Touristenorten, wird man hier nicht als Kunde, sondern als Gast gesehen, und unsere herzlichen „Namaste“ werden oftmals noch herzhafter und mit einem respektvollen Falten der Hände und einer leichten Verbeugung erwidert.


Anmarsch zum Base Camp

Wir vereinbarten mit unserer Trekking Agentur und den Pferdeführern, in drei Tagen vom Ort „Urgos“ aus zum Base Camp zu marschieren. Einerseits wollten die Pferdeführer natürlich so viele Tage wie möglich bezahlt bekommen, und andererseits wollten wir uns gut aklimatisieren. Der Trek wäre locker auch in zwei Tagen möglich gewesen, denn der Weg ist bis auf zwei kürzere Steigungen sehr flach, auf ca. 35 km legt man gerade einmal 300 Höhenmeter zurück.

So hatten wir viel Zeit um dieses schöne Tal richtig in uns aufzusaugen und jeden Abend einen Aklimatisationsmarsch zu unternehmen. Wir schlugen unsere Zelte auf märchenhaften Wiesen auf, die von klaren Gebirgsbächen durchzogen waren. Mitte Augst trifft man noch auf viele, teils riesige Schaf- und Ziegenherden, sowie auf frei herumziehende Rinder und Yaks, sowie kleine Herden von Pferden. Sie verbringen selbständig den ganzen Sommer auf diesen Hochweiden, und wandern von alleine beim Einbruch des Winters zurück in ihre Dörfer.

Base Camp

Nach zwei Tagen Marsch machte das Tal einen merkbaren Knick, und als wir um diese Biegung kamen, sahen wir in der Ferne die ersten Granitgipfel leuchten! Es war dies für uns ein besonderer Moment, denn nun wurde unsere Unternehmung hinsichtlich des Kletterns selbst erst Realität. Wir sahen uns tief in die Augen, grinsten uns an, und sagten nur: „Jetzt sind wir da!“

Das Basislager lag an einem malerischer Ort, einer saftigen grüne Wiese, welche von zackigen Granitbergen umringt, und mit zwei eiskalten, kristallklaren Quellen ausgestattet war.

Wir luden die Pferde ab, stellten die Zelte auf, und liesen uns zur Feier des Tages von „Ram“ und „Balu“, unserem Koch und seinem Helfer, ausgiebig bekochen. Denn wenn wir unsere Blicke nach oben richteten, wurde uns klar, dass wir in den kommenden Wochen viel Energie brauchen würden.

Die Sonne umstrahlte in fettem, orangem Licht die höchsten Gipfel, und wir waren – ohne die vielen Berge und Wände in den Seitentälern überhapt erblicken zu können – verzaubert von dieser Landschaft, und erahnten die tollen Möglichkeiten die sich boten.

Nun waren wir mitten drinnen in unserem Abenteuer. Das Hier und Jetzt, in welches wir uns durch unsere Vorbereitungen und unseren Einsatz versetzt hatten, füllte uns bereits mit einer großen Breite und Tiefe an Empfingungen aus. Wir waren dankbar und gespannt zugleich, denn bis jetzt waren wir ja noch keinen einzigen Meter geklettert!

Miyar Valley Expedition - 2. Teil

Im Chhudong Valley (Neverseen Tower in back)
Zustieg ins Chhudong Valley
Blick ins Dali Valley
GouGou und Premsingh Peak
Gutzele Peak
Zustieg ins Chhudong Valley
Am Chhudong Gletscher
Ines am Gou Gou Peak
Ines am Torro Peak
Torro Peak
Gerhard Trident Ridge / Premsingh Peak
Base Camp Chhudong Valley
Blick ins Chhudong Valley
Gerhard Gou Gou Peak
Am Gipfel des Gutzele Peak
Ines Gutzele Peak
Ines Premsingh Peak

Unsere erste Route entpuppt sich dann als schöne Linie, der Felsen ist abschnittsweise extrem fest und fein zu klettern. Zugute kommt uns auch, dass es überraschend warm ist, wir klettern lange Strecken nur mit einem T Shirt. Bei diesen tollen Bedingungen geht es rasch aufwärts, und um 14.00 Uhr stehen wir dann schon am Gipfel, und benennen unsere Linie „The best of both sides“ 5.9, 350m.

 Es ist ein atemberaubender Anblick, der sich uns hier am Gipfel bietet. Zum ersten Mal haben wir ein 360° Panorama über die umliegende Bergwelt. Die schier unendlichen Möglichkeiten machen es schwierig, weitere potentielle Ziele auszuwählen. Es bedarf ein „feines“ Gespür um festzulegen, welche Linie, welche Schwierigkeit und welche Berghöhe denn wohl der beste nächste Schritt ist.

 Wir treffen schließlich die Entscheidung ins “Chhudong Valley” zu gehen, in welches wir einen sehr guten Einblick bekommen. Denn dort können wir einige potentielle Ziele ausmachen.

Im Chhudong Valley

Vom Base Camp aus steigt man ca. 700m einen steilen Grashang empor, um an den Taleingang zu gelangen. Hier führt ein flacher Abschnitt ins ca. 15km Tal, zuerst eine Stunde nebenl einem wilden Bach, bevor ein wilder Blockgletscher beginnt der nach mehreren Stunden Marsch zu einem flachen Eisgletscher wird.

Am Blockgletscher wird das Gehen zu einer Art “Drei schritte vorwärts, ein Schritt zurück” Odyssee. Auf den losen feuchten Steinen kommen wir mit den schweren Rucksäcken nur langsam vorwärts. Oft rutschen wir aus, kippen um, oder müssen bei kleinen Hindernissen große Umwege machen. Der Gletscher erscheint auf den ersten Blick vielleicht als starre Masse, aber in Wirklichkeit ist er ein gefährliches, sich langsam bewegendes Medium. Geröllmassen brechen ohne Vorwarnung an steilen Abhängen weg, sofagroße Blöcke fallen schlagartig um, und wir checken bald dass man sich hier als Seilschaft NIE trennen darf.

Nach insgesamt 5 Stunden Marsch finden wir einen geeigneten Platz für unser Lager, und hauen uns hundemüde aufs Ohr. Die erste Nacht hier oben verläuft dann extrem unruhig. Der permanente Steinschlag reißt uns immer wieder aus dem Schlaf, den bei Temperaturen von etwas über 0° C gibt der Berg einfach keine Ruhe.

Als wir am nächsten Morgen dann weiter gehen, sind wir völlig geschlaucht, und schaffen es gerade mal ca. 300 Höhenmeter aufzusteigen, wo wir wiederum ein Lager errichten. Wir rasten und essen gut, dann gehen wir los um die Wand für den nächsten Tag auszukundschaften.

Um die Gefahr von Steinschlag auf der Zustiegsstrecke so gut  es geht zu minimieren, geht es um 3.30 los. Um 5.30 sind wir am Einstieg, und nach drei Seillängen mit der Stirnlampe wird es dann auch hell und etwas wärmer. Wir “sausen” leichte Platten in gutem Tempo nach oben, unterbrochen von gelegentlichen 5.8 oder 5.9 Moves. Nach etwa 5 Stunden Klettern kommen wir in einen extrem schattigen, kalten und richtiggehend verrotteten Gully. Hier heisst es dann Arschbacken zusammenkneifen und durch! Eine extrem brüchige und nur sehr schlecht abzusichernde 5.9 Länge, sowie eine heikle Länge über ein verschneites Band, führt uns glücklicher Weise wieder in festen Fels an der Südseite, und bald stehen wir am Gipfel.

Ines und ich schauen uns tief in die Augen und fühlen die intensive Qualität dieses Moments. Wir haben einen Traum verwirklicht, stehen als erste auf einem unbestiegenen Gipfel, haben ein Geschenk bekommen haben, eine Erfahrung, welche unser gesamtes Leben bei uns sein wird. Die Erstbesteigung des “Gutzele Peak” (ca. 5.300m, South Ridge, 500m, 5.9R) gibt uns weiteres Selbstvertrauen, und der Zwang “bei der Expedition etwas erreichen zu müssen” ist nun völlig von uns genommen.

Zurück im ABC verlagern wir es an den “alten” Standort am Gletscher in der Talsohle, um einen idealen Ausgangspunkt für die nächsten Ziele zu haben, zwei Grate an der Südostseite des Tales. Hier möchten wir die erste Wiederholung der “Trident Ridge” (1000m, 5.9, Premsingh Peak 5.300m, 1. Beg. A. u. T. Grmovsek), und den Nachbargipfel, welcher unbestiegen ist, versuchen.

Leider bringen die nächsten Tage Regen, und auch unsere Essensvorräte neigen sich dem Ende zu. So bleibt uns nichts anderes übrig als wieder ins Basislager abzusteigen.

Hier genießen wir als aller Erstes eine „Dusche“ aus dem größten Alu – Topf unseres Koches. Als die Kleider vom Leib sind, müssen wir feststellen, dass uns die erste Woche bereits ordentlich Substanz gekostet hat. Es ist wie ein rechtzeitiger Schuss vor dem Bug, denn wir wissen, dass wir viel mehr zum Essen mit ins Hochlager nehmen müssen, sonst wird uns einfach der Strom ausgehen. Gott sei Dank werfen unser Koch Ram und seinen Helfer Balu fürs Erste einmal ungefragt die Kerosin Kocher an, und wir können uns den Magen mit fetten Käse – Tomaten Omelettes vollstopfen.

Nach zwei Tagen steigen wir wieder ins ABC auf, wo das Wetterglück wieder auf unserer Seite ist. So steigen wir gleich am ersten Tag in den anvisierten Grat ein, der auf einen ca. 5.200m hohen, unbestiegenen Gipfel führt. Nach einigen Seillängen wird die Kletterei total lässig. Es geht um große Felstürme herum und darüber, über eine steile Riss-Felsstufe, über einen super schmalen Grat weiter bis wieder leichte Platten beginnen. Die letzten 100 Höhenmeter im Solo sind reine Genußkletterei! Am frühen Nachmittag stehen wir dann am Gipfel des „Gou Gou Peak“ (ca. 5.200m), den wir nach einer sonderbar aussehenden Pflanze benennen, die wir in den Ausstiegslängen finden. Die „South Ridge“ (550m) bewerten wir 5.8.

Am nächsten Tag versuchen wir dann den Nachbargipfel „premsingh Peak“. Er wurde vom Slowenen Andrej Grmovsek und seiner Frau Tanja erstbegangen. Ihr Route „trident Ridge“ verläuft über drei markante Felsformationen, die tatsächlich wie scharfe Reißzähne aussehen. Die Kletterei ist fast ident wie jene am Vortag, was nicht sehr überrascht, sind die Routen doch nur wenige hundert Meter voneinander entfernt. Die „Trident Ridge“, 1000m, 5.9 R ist jedoch ein ganzes Stück länger, und wir wir sind froh diesen „Ausdauer Test“ gut bestanden zu haben.

Zurück im ABC entscheiden wir uns dann dafür, tiefer ins Chhudong Valley zu wandern, um uns den spektakulären “Neverseen Tower” und seine Nachbargipfel anzuschauen.

Einen von ihnen, den 5.750m hohen “Grandfather Enzo Peak” wollen wir auch beklettern.

Wir benötigen kraftraubende vier Stunden, um über den Blockgletscher zum Beginn des tatsächlichen Eisfeldes zu kommen. Von hier aus ist es im Vergleich zu vorher eine richtige “Autobahn” und wir kommen rasch vorwärts. Eine Stunde später haben wir tief ins Eis eingegrabene Bäche übersprungen, spektakuläre Gletscherbrücken überschritten, einen flachen Platz für das Zelt auf der Seitenmoräne und auch eine Wasserlache gefunden. Für unsere Anstrengungen werden wir mit einem wunderschönen Panorama belohnt! Hinter unserem Zelt thront der “Neverseen Tower”, ein 800m hoher Koloss aus bestem, orangen Granit!

Leider dreht am nächsten Tag das Wetter, und es schneit erstmals ordentlich auf den umliegenden Gipfeln. Als Tags darauf das Wetter plötzlich zu drehen scheint, packen wir rasch gegen 7.00 Uhr unsere Sachen und starten zum “Grandfather Enzo Peak” los. Ohne Satellitenverbindung sind wir rein auf die Interpretation der Wolken, des Luftdrucks auf unseren Suuntos und unser Gefühl angewiesen.

So passiert es uns, dass wir schnurstracks in einen weiteren Wetterumschwung hineinlaufen, und mitten im Aufstiegscouloir auf etwa 5.300m im Schneefall umkehren müssen. Unsere erste bittere „Niederlage“. Gegen die dicken Schneeschichten, die sich nun auf dem Gipfelgrat abzeichnen, ist jedoch kein Kraut gewachsen. Und obwohl wir so gerne auch auf einem dieser Gipfel im „hinteren“ Chhudong Valley stehen wollen, wird uns klar das Mutter Natur im Moment einen Aufstieg aussichtslos macht. So müssen wir unverrichteter Dinge von Dannen ziehen, und retour ins Base Camp.

Erst dort wird uns klar, was wir in den letzten zwei Wochen schon umsetzen konnten. Einen Berg erstbestiegen, eine neue Route erstbestiegen, und eine der schönsten bestehenden Linien (aus unserer subjektiven Sicht) als Erste wiederholt. Mit diesem erfreulichen Resümee im Hinterkopf laden wir uns in den kommenden Tagen Schlechtwetter nochmals ordentlich auf, und in uns entsteht die Motivation, uns in den letzten 10 Tagen im Miyar Valley noch einmal so richtig “hineinzuwerfen”!

Miyar Valley Expedition - Teil 3

Abstieg Korklum Gou
Ines Abstieg Korklum Gou
Gerhard Crux 4 Seasons in one day
Gerhard Never ending story
Gerhard Sangria Ridge
Gerhard Mittelteil Shangrila Ridge
Gerhard Never ending story
Ines 4 Seasons in one day
Ines letzte Länge 4 seasons in one day
Ines Never ending story
Ines Shangrila Ridge
Ines an unglaublichen Turm Sangria Ridge
Ines Gipfelgrat Kurt Albert Peak
Iris Peak 4 Seasons in one day
Korklum Gou
Kurt Albert Peak
Am Gipfel des Kurt Albert Peak
Heartly thanks to Ram, Balu and Baghwan

Wir wollen als Erstes den Westgrat“ von „David´s 62 Nose“ und deren logische Verlängerung auf den „Iris Peak“ machen. Eine großartige Linie, die einem vom Base Camp aus ins Auge sticht.

Dann war es immer klar für uns, dass wir die „Shangrila Ridge“ (600m, 5.10c R) auf den „Korklum Gou“ (5.618m) versuchen würden. Und schließlich stimmen wir auch überein, dass wir den Gipfel gleich nördlich davon versuchen würden.

“Four seasons in one day” – Iris Peak (5200m) West Ridge 600m, 5.11 a

Als wir über grasige Hänge aufsteigen, präsentiert sich das Miyar Valley im typischen Morgen Nebelkleid. Als die Sonne aufgeht, steigt das dichte Grau auf, und als wir am Einstieg unserer Linie stehen, werden wir in ein kaltes und feuchtes Grau gehüllt.

Die ersten Seillängen sind dann auch kein Problem, bevor sich die Wand dann aber massiv aufstellt und es ans Eingemachte geht.

Aufgrund der kalten und feuchten Bedingungen werden die folgenden 5.9 / 5.10 Längen eine echte Herausforderung, besonders weil es eine riesige lose Schuppe gibt, um die ich keine Ausweiche finde. So bleibt mir nichts anderes übrig, als Augen zu und durch..

Einige Seillängen danach traversieren wir über den Gipfel von „David´s 62 Nose“ und klettern in eine Scharte hinab. Dort stellt sich uns dann ein 20m hoher, steiler und brüchiger Felsabschnitt in den Weg. Zu unserem Glück gibt es einen Riss rechts davon, welchen wir mühevoll hinter uns bringen.

 Ab diesem Abschnitt haben wir keine weiteren Probleme. Wir klettern für weitere drei Stunden, und finden dabei von strahlendem Sonnenschein, mehr Nebel, leichten Hagel und etwas Regen alle Wettersituationen vor, die man sich vorstellen kann.

Zu allem Überfluss ist am Gipfel die Luft statisch stark aufgeladen, und somit fallen die Gipfelfreuden kurz aus. Nur ein schneller Kuss, und dann nichts wie weg von hier!

Wir können rasch über die Nordost Seite abklettern, weiter über eine Rinne absteigen und über ungefährliche Bändersysteme wieder fast bis zum Einstieg queren, wo wir alte Abseilstellen finden. Nach nur zwei Abseilern sind wir auch wieder schon wieder auf den Grashängen unter dem Einstieg. Erst hier können wir uns das erste Mal richtig über unsere Begehung freuen, ein breiter Grinser macht sich auf unseren Gesichtern breit.

“Kurt Albert Peak” (5.900m) - “Never ending story” (1.000m, 5.9 R)

 Bereits am nächsten Tag bringen wir den ersten Teil unserer Ausrüstung zum vorgeschobenen Lager im Dali Valley, zum Fuß des großen pyramidenförmigen Berges, den wir besteigen wollen. Nach vier Stunden Anmarsch und einem schwierigen letzten Abschnitt, finden wir einen unglaublichen schönen Fleck für unser Lager. Einen gletscherpolierten Dom, auf dessen Höhe ein riesiger Gletscher beginnt, und an dessen Ende weitere wunderschöne Granitgipfel thronen. Wir saugen kurz das Panorama auf, legen unsere Rucksäcke unter einen großen Block, und machen uns auf den Rückweg.

Am nächsten Tag geht es wieder retour bergauf, und am Nachmittag liegen wir bereits in der Sonne neben unserem Zelt und schauen uns die geplante Linie an. Ein extrem langer Grat beim Aufstieg und ein markantes Couloir beim Abstieg.

Erst beim zweiten Wettercheck am nächsten Morgen, gegen 5.00 Uhr, stehen wir auf, um kurze Zeit später im typischen Morgennebel über die Blockfelder zum Einstieg am tiefsten Punkt des Grates zu marschieren.

Wir klettern dann etwa 10 Stunden am Stück, grossteils simultan, über Abschnitte mit unterschiedlichster Felsqualität, von absolutem Bruch bis hin zu makellosen Platten und wieder zurück zu großen fragilen Felstürmen.

Wir klettern und klettern, immer auf der Hut nicht „stecken“ zu bleiben. An einem bestimmten Punkt kommen wir wieder direkt auf den Grat, und können den Gipfel des „Korklum Gou“ (5.618m) bereits weit unter uns sehen. Hört dieser Grat denn nie auf?

Nach weiteren, äußerst unangenehmen Seillängen über losen Fels, klettere ich um eine Kante und stehe plötzlich kurz unter dem Gipfel. Nur mehr ein kurzes Eisfeld und eine Traverse über eine lange Schneewächte. Eine halbe Stunde später stehen wir endlich am Gipfel, danken den Göttern des Miyar Valleys für die Gnade, hier stehen zu dürfen, fixieren Gebetsfahnen an einem Felsbrocken und machen ein paar Bilder.

Wieder gibt es kein großes Ruhmesgefühl oder Ähnliches. Wir sind glücklich oben zu sein, natürlich, aber unser Fokus ist bereits beim Abstieg und der einbrechenden Nacht.

Vom Gipfel machen wir ein paar kurze Abseiler über extrem schwieriges Gelände, mit vielen großen scharfen Schuppen. Wir müssen höllisch aufpassen, dass uns die Seilenden nicht stecken bleiben, und ich klettere zweimal ab, anstatt abzuseilen. Erst als wir ein anvisiertes Couloir erreichen, geht es in 60m Abseilern weiter.

Damit kommen wir rasch bergab, und auf einen kleinen Gletscher. Erst hier kommt wieder ein intensives Glücksgefühl auf, und einige Stunden später genießen wir vor unserem Zelt, warm eingehüllt in unsere Schlafsäcke, das großartige Panorama ins Dali Valley bei strahlendem Vollmond.

Wir möchten den Gipfel gerne „Kurt Albert Peak“ nennen, denn er hat mich in meiner Kletterphilosophie entscheidend beeinflusst, besonders hinsichtlich des Reisens und Entdeckens neuer Kletterdestinationen.

Korklum Gou (5.618m) - Shangrila Ridge (500m I-III, 600m 5.10c R)

 Am nächsten Morgen erreichen wir nach kurzem Abstieg den neuen Lagerplatz, von dem aus wir die „Shangrila Ridge“ in Angriff nehmen wollen. Um 3.00 Uhr starten wir los. In der Dunkelheit und bei wieder einmal aufsteigendem Nebel ist es schwierig sich zu orientieren. Nur die tiefschwarze Wand zu unserer Rechten, weist uns den Weg durch einen steilen Gully. Das Vorwärtskommen ist extrem mühsam, immer wieder rutschen wir große Stücke auf den losen Steinen zurück, oder feuchte steile Abschnitte versperren uns den Weg. Dann müssen wir über tückische Platten ausweichen und dabei höllisch aufpassen. Wir brauchen für die etwa 500Höhenmeter mehr als drei Stunden um jenen Punkt zu erreichen, an welchem ein Band zum Einstieg des eigentlichen Grates führt.

Wir haben einen guten Rhythmus und erreichen gegen 15.00 Uhr den Gipfel in immer wechselnden Wetterbedingungen. Sie sind aus unserer Sicht aber nicht alarmierend. Am höchsten Punkt bricht das Wetter dann jedoch völlig überraschend zusammen, und es beginnt zuerst zu Regnen und gleich darauf zu Schneien. Uns ist schlagartig klar, dass unsere ganze Energie darauf gelenkt werden muss, unversehrt von diesem Zapfen herunter zu kommen.

Ich könnte nun all die Kämpferei beschreiben, all die Probleme beim Seil abziehen, die eisigen Finger in denen nassen Handschuhen, in denen man nichts mehr spürt vor Kälte. Oder die Angst, als es plötzlich um unsere Köpfe zu „surren“ beginnt, oder das Problem den richtigen Weg bei weniger als 10m Sicht zu finden. Das Zittern unserer Körper weil wir durch und durch nass waren, oder die Panik als die Kommunikation zwischen mir und Ines abbricht.

Aber ich lasse es gut sein. Irgendwie schaffen wir es, abkletternd, und mehrere hundert Meter abseilend, zurück in den Gully. Dort wissen wir, dass wir es zum Glück geschafft haben, irgendwie schon runter kommen werden. Irgendwie entpuppt sich dann als Absteigerei auf losem Geröll in tiefen Schneematsch, Abseilerei über kleine Wasserfälle (denn ein kleiner Bach begann den Gully hinabzufließen) und über nasse Platten. Abseilstände auf Allem zu bauen, was wir gerade finden konnten, von fragwürdigen Klemmblöcken zu einzelnen Haken, die ich mit den Fingern hinter eine Schuppe schieben konnte.

Als wir in den Talkessel bei unserem Lager ankommen, spüren wir keinerlei Erleichterung und kein Abfallen der Anspannung. Denn der Ausgang der letzten Unternehmung, hätten wir nicht soviel Glück gehabt, war uns beiden völlig klar. Alles was wir in diesem Moment empfinden ist Demut, das Wissen um die Warnung der Götter des Miyar Valley, sie nun alleine zu lassen.

Mit dieser Feststellung ist uns gleichzeitig klar, dass unsere Zeit im Miyar Valley abgelaufen ist. Die Aufforderung an uns ist klar und deutlich, und so bereiten wir dankbar unsere Abreise vor. Wir wissen, dass wir unser Bestes gegeben haben, und fühlen uns durch die Besteigungen und Erlebnisse reich beschenkt.

Unsere „Lebensexpedition“ war schön, erfolgreich, intensiv und wild zugleich. Wir haben erreicht weswegen wir aufgebrochen sind, werden das Erlebte für immer in tiefer Zufriedenheit mit uns tragen und teilen können.

Wir möchten uns bei Austrialpin, dem Millet Expedition Project und Suunto herzlich für die Unterstützung bedanken. Ein weiterer, besonderer Dank geht an Kaushal Desai von „Above 14.000 feet“ und seiner crew, Baghwan, Ram und Balu. Wir hätten kein besseres Service und keine freundlichere Begleitung finden können, ganz zu schweigen vom köstlichen Essen!

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